Zu den sogenannten „Spaziergängen“ gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und zur heutigen Stellungnahme der Stadtverwaltung und Diskussion im Gemeinderat um das weitere Vorgehen äußert sich die Ulmer SPD-Fraktion:
Die deutlichen Worte von Oberbürgermeister Czisch bestärken uns in unserer seit längerem mehrfach geäußerten Meinung. Selbstverständlich gehört zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes, dass Gegner von Corona-Maßnahmen und Kritiker einer Impfpflicht demonstrieren können. Die Stadt als zuständige Behörde muss jedoch nach unserer Ansicht eine härtere Gangart und alle möglichen juristischen Maßnahmen einsetzen, um das geltende Recht auch bei den sogenannten „Coronaspaziergängen“ durchzusetzen. Eine Möglichkeit besteht, im Wege der Allgemeinverfügung diese Corona Spaziergänge zu untersagen. Eine solche Verfügung sollte auch die Stadt Ulm vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse und Entwicklungen zeitnah erlassen. Von dieser Möglichkeit haben auch bereits zahlreiche Städte Gebrauch gemacht und es liegen zahlreiche Verwaltungsgerichtsentscheidungen vor, die dieses Vorgehen als rechtmäßig qualifizieren. Die Möglichkeiten für Ulm liegen unserer Meinung dafür schon seit langem vor. Viele Teilnehmer der Coronaspaziergänge in Ulm tragen keinen Mund-Nasenschutz und halten auch nicht den vorgeschriebenen Abstand ein. Aus dem Vorgehen der „Spaziergänger“ wird ersichtlich, dass die Veranstalter der „Spaziergänge“ bewusst und vorsätzlich das Anmeldeerfordernis und die daraufhin in der Regel folgenden Auflagen umgehen wollen, um so ungehindert von solchen Auflagen ihre Versammlung durchführen zu können. Insbesondere wollen die Teilnehmer an den nicht angemeldeten „Coronaspaziergängen“ durch ihr Verhalten auch verhindern, dass die Versammlungsbehörde und die Polizei die notwendigen organisatorischen Maßnahmen treffen können, wie etwa auch bestimmte Wegstrecken oder eine stationäre Versammlung vorzuschreiben und ausreichend personelle Kräfte zur Wahrung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorzuhalten.
Klar ist, dass die Stadt keine Versammlungen dulden darf, bei der Abstandsgebote nicht eingehalten werden und sich eine Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer weigert, Masken zu tragen. Völlig inakzeptabel ist, dass Bürgerinnen und Bürger, die an Gegendemonstrationen zu den „Spaziergängen“ teilnehmen, bedroht oder sogar tätlich angegriffen werden und der Versuch gestartet wird, über soziale Medien einzuschüchtern. Des Weiteren muss die Pressefreiheit des Grundgesetzes geschützt werden – es darf nicht sein, dass Journalistinnen und Journalisten eingeschüchtert oder bedroht werden! Hier werden eindeutig rote Linien überschritten und es müssen deshalb alle rechtstaatlichen Mittel eingesetzt werden, um dieser gefährlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten.
Allgemeinverfügungen in Form von Versammlungsverboten nicht angezeigter und nicht bestätigter Versammlungen haben in verschiedenen Städten zu einem deutlichen Rückgang nicht angemeldeter „Spaziergänge“ geführt (in Stuttgart fanden seit Erlass einer dementsprechenden Allgemeinverfügung keine Spaziergänge mehr statt).
Die Stadtverwaltung hat bislang eine viel zu sanfte Linie gefahren und die „Spaziergänger“ weitgehend gewähren lassen. Das bisher unterbliebene jedoch dringend notwendige Einschreiten wurde als „Deeskalationsstrategie“ dargestellt. Selbst wenn die Stadt vor einem Verbot der Versammlungen zurückschreckt, muss sie dafür sorgen, dass die „Spaziergänge“ nicht weiter Eventcharakter haben und willkürlich den Verkehr lahmlegen. Die Karlstraße und die Frauenstraße als wichtige Verkehrsachsen für Feuerwehr und Rettungsdienst dürfen nicht blockiert werden. Für die Bürgerinnen und Bürger, die sich seit Monaten und Jahren an die Vorgaben der Pandemiebekämpfung halten, ist es vollkommen unverständlich, dass Stadt und Polizei die vorsätzlichen Rechtsverstöße dulden und „Spaziergänger“ ohne Maske, aber mit Bierflasche durch die Stadt geleiten.
Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass sich die Qualität der „Spaziergänge“ verändert hat und Teilnehmende teilweise nicht mehr vor Gewalt gegen Polizei und Gegendemonstranten, Drohungen und dem Mitführen von Waffen zurückschrecken.
Wie gefährlich sich diese neue Bewegung entwickelt, zeigt sich spätestens jetzt an einem „Sharepic“, das seit längerer Zeit in den verschiedenen Telegram-Gruppen kursiert. Hier wird zum Marsch aufgerufen, „zu den Mitschuldigen wie Presse- und Medienhäusern, Wohnhäusern der Politiker, Lehrer, Gemeinderäte etc.“. Dass diese Aufrufe keine haltlosen Drohungen sind, zeigen Beispiele aus anderen Bundesländern, als die Polizei Aufmärsche vor dem Privathaus der Gesundheitsministerin des Freistaates Sachsen oder der Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern unterbinden musste und zum Glück unterbunden hat. Es macht uns betroffen und wütend, wenn vor dem Privathaus des Ministerpräsidenten Kretschmann Fackelzüge abgehalten werden. In Ulm durften „Spaziergänger“ die Olgastraße kapern und vor dem Pressehaus der NPG „Lügenpresse“ skandieren. Die Namen von örtlichen Journalistinnen und Journalisten, die kritisch über die „Spaziergänge“ berichten, werden auch bereits in den Telegramgruppen diskutiert. Wir fragen uns, wann und welche Maßnahmen gegen diese demokratiefeindlichen Äußerungen und Aktionen unternommen werden. Wir haben die Stadt und Oberbürgermeister Czisch hierzu mehrfach aufgefordert.
Die überaus zögerliche Haltung der Stadt als Ortspolizeibehörde hat dazu geführt, dass Ulm nun zu einem Pilgerort für sogenannte „Spaziergänger“ wurde. Nach unserer Auffassung hätten viel früher Maßnahmen ergriffen werden können und müssen, um diese Entwicklung zu stoppen. Der Rechtsstaat darf sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Es bleibt bei unserer schon seit Wochen erhobenen Forderung, nun endlich alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um geltendes Recht durchzusetzen und die nun mehr als deutliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzustellen und wirksam zu bekämpfen.